Stärkung der Innenstädte durch eine gute Nahmobilität

26. Januar 2023 – 10-13 Uhr / Online-Veranstaltung

Im Rahmen des Brandenburger Bündnisses für lebendige Innenstädte fand am 26. Januar 2023 die gemeinsame Werkstattveranstaltung „Stärkung der Innenstädte durch eine gute Nahmobilität“ von Städteforum Brandenburg und Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung statt. Mehr als 90 Teilnehmende nahmen an der Veranstaltung teil und beteiligten sich rege an der Diskussion.

Die Werkstattveranstaltung diente dem Fachaustausch und Wissenstransfer mit und zwischen der jeweiligen kommunalen Praxis. Sie war gleichzeitig ein Themenbaustein auf dem Weg der Vorbereitung des nächsten landesweiten Innenstadtwettbewerbs, den das Bündnis für lebendige Innenstädte am 15. November 2023 ausloben wird.

Planung für die Umgestaltung der Marktstraße in Cottbus, Fachbereich Stadtentwicklung, Stadt Cottbus/Chóśebuz, 2019


In ihren Grußworten betonten Hans-Joachim Stricker, Referat Stadtentwicklung im MIL, und Anne Fellner, Vorstandsvorsitzende des Städteforums Brandenburg und Erste Beigeordnete der Stadt Eberswalde, dass Mobilität in den Innenstädten nicht nur eine Frage der Verkehrsentwicklung ist, sondern aus der Perspektive der Stadtentwicklung eine interdisziplinäre Zusammenarbeit erfordert. Anne Fellner erläuterte: Als Mittelpunkt einer lebendigen Stadt mit einer vielfältigen Nutzungsmischung muss das Zentrum für alle Gruppen attraktiv und ohne Barrieren erreichbar sein. Hans-Joachim Stricker benannte das Spannungsfeld, das sich in dieser Frage anhand von drei Oberzielen für die Innenstädte aufmacht. Das klassische Oberziel ist demnach eine möglichst gute Erreichbarkeit des Handelsstandorts Innenstadt für alle Verkehrsmittel. Umwelt- und Klimapolitik, aber auch Belange des Städtebaus sprechen für eine stärkere Bedeutung des Oberziels einer Innenstadt mit gestärkter umweltgerechter Mobilität (Fuß- und Radverkehr, ÖPNV) und weniger Autoverkehr. Ein drittes Oberziel ergibt sich aus den Anforderungen einer verstärkten Nutzungsmischung an die Attraktivität und Funktionsvielfalt des öffentlichen Raums, also an die Straßen- und Platzräume und die Freiflächen. Die drei genannten Ziele sind prinzipiell in jeder Innenstadt relevant. Abhängig von der Stadtgröße und den jeweiligen Innenstadtfunktionen (Handel, Gewerbe, aber auch Wohnen, Daseinsvorsorge und Kultur) werden die Ergebnisse der Abwägung zwischen den Zielen und Ansprüchen aber unterschiedlich ausfallen.


Nahmobilität als Teil der Verkehrswende in der Innenstadt

Agora Verkehrswende (2019): Abgefahren! Infographische Novelle

Janna Aljets, Projektleiterin Städtische Mobilität bei Agora Verkehrswende, stellte in einer fachlichen Einführung aus bundesweiter Perspektive grundsätzlich fest: Die Verkehrswende wird nur durch eine Veränderung des Modal Split und einer Stärkung des ÖPNV sowie des Fuß- und Radverkehrs möglich. Das erfordert in den Städten Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung dieser Verkehrsarten, aber auch den Abbau von nicht mehr zeitgemäßen Privilegien für den privaten Autoverkehr. Anja Hänel, Landesgeschäftsführerin des VCD Brandenburg, ergänzte in ihrem abschließenden Impuls, dass die mangelnde Verkehrssicherheit zentrales Hemmnis für einen höheren Anteil des Rad- und Fußverkehrs in den Städten ist.

Kernpunkte: Welche Rolle spielt die Nahmobilität in der Verkehrswende?

  • Um die Klimaziele zu erreichen, muss der Autoverkehr in den Innenstädten deutlich reduziert werden. Dafür sind Mobilitätskorridore für Bus, Fuß- und Radverkehr erforderlich, die die Innenstadt mit ihrer Umgebung und dem Umland verbinden.
  • Die Verkehrsmodi stehen in Flächenkonkurrenz zueinander. Im Straßenverkehr führt das zu einem Sicherheitsrisiko für die schwächeren Verkehrsteilnehmer.
  • Push- und Pull-Maßnahmen müssen ineinandergreifen; temporäre Aktionen können kurzfristig und unkompliziert neue Wege für den Fuß- und Radverkehr aufzeigen.
  • Die Fußläufigkeit gehört zu den wichtigsten Faktoren einer attraktiven Innenstadt und trägt auch zu einer barrierearmen Erschließung bei.
  • Die „Letzte Meile“ nimmt innerstädtisch an Bedeutung zu. Städtische Logistik muss zukünftig effizienter organisiert werden.
  • In den ländlichen Regionen Brandenburgs werden andere Mobilitätskonzepte als in den Städten benötigt: Hier sind Distanzen zwischen 10 und 20 km für die Verkehrswende zentral.

In der Praxis: Nahmobilität in der Innenstadt stärken

Die Stärkung der Nahmobilität ist in vielen Kommunen bereits zentrales Thema von Innenstadtkonzepten, die auf eine Belebung und eine attraktive Nutzungsmischung setzen. Eine Reihe von Praxisbeispielen aus Brandenburg und darüber hinaus gaben einen Einblick in Ideen, Visionen und Handlungsmöglichkeiten vor Ort – aber auch in die Hemmnisse und Grenzen der lokalen Mobilitätswende. Dies wurde auch in der anschließenden Diskussion deutlich.

Susanne Richter, Fachbereich Bau und Stadtentwicklung der mecklenburgischen Stadt Parchim, erläuterte die Strategie der Stadt Parchim, den Durchgangsverkehr in der Altstadt reduzieren, die Barrierefreiheit zu verbessern und Fuß- und Radverkehr zu fördern. Verkehrsorganisatorische Maßnahmen auf Probe, die Schaffung eines zentralen Fahrradparkhauses, aber auch eine denkmalverträgliche Verbesserung der Fahrbahnbeläge, sind in Parchim wichtige Ansatzpunkte, die im Kontext der Altstadtsanierung und Funktionsstärkung der Innenstadt stehen.

Sven Koritkowski, Fachbereich Stadtentwicklung der Stadt Cottbus, berichtete von dem Beteiligungsprozess mit Händler*innen, Besucher*innen und Bewohner*innen in der Umsetzung des Mobilitätskonzepts der Innenstadt. Der Umbau von Straßenräumen habe bereits deutlich erkennbare Impulswirkungen für die Attraktivität der jeweiligen Innenstadtbereiche ausgelöst, Testläufe und Experimente gehörten dabei zum Prozess des gemeinsamen Umdenkens in der Stadt.

Yvonne Stolzmann, Bereichsleiterin Stadtraum Mitte der Landeshauptstadt Potsdam, stellte die Konzepte und Vorgehensweisen für die Innenstadt Potsdam vor: die stärkere Nutzung der vorhandenen Parkhäuser und Tiefgaragen im Zuge der Regulierung sonstiger Parkmöglichkeiten, die Verbesserung der Flächengerechtigkeit zugunsten des Fußverkehrs, konsumfreie Aufenthaltsmöglichkeiten, eine stärkere Begrünung und Beschattung der Straßenräume. Maßnahmen der Nutzungsänderung nehmen dabei zunächst einzelne Fokusbereiche in den Blick, als ersten Schritt auf dem Weg zu einer späteren baulichen Umgestaltung. Die Stadt schafft im Zuge der Neuorganisation des Verkehrs beispielsweise Lieferzonen, um bestehende Konflikte zwischen Parkraum und Lieferlogistik zu entschärfen.

Radverkehr stand im Mittelpunkt des Vortrags von Oliver Bley, Stadtbaurat der niedersächsischen Stadt Gifhorn. Die aus gesamtstädtischer Perspektive dringend benötigte Nord – Süd – Durchquerung der Innenstadt für den Radverkehr war der Anlass für einen mehrmonatigen Verkehrsversuch, in dem die langgestreckte Fußgängerzone für den Radverkehr geöffnet wurde. Das Ergebnis in Form verlängerter täglicher Durchfahrtszeiten war ein Kompromiss, diesem „Etappensieg“ für die Mobilitätswende sollen weitere Konzeptbausteine im Rahmen der gesamtstädtischen Planungsprozesse folgen

Dennis Krüger, Prokurist der EDEKA-MIHA Immobilien Service-GmbH, machte klar: Innenstädte sind „gelernte Standorte mit Handels-DNA” und deswegen für die Ansiedlung auch von Lebensmittelhändlern mit großen Flächenbedarfen prädestiniert. Dies ist in der Praxis angesichts der gewachsenen Standortanforderungen für Handelsimmobilien (Verkaufsflächenbedarf, Kundenstellplätze, Logistik) in kleinteilig strukturierten Innenstadtlagen nicht immer einfach, wie eine Reihe von Beispielen aus Brandenburger Städten zeigte. Betont wurde: Der Handel ist prinzipiell offen für die Mobilitätswende, aber Kundenbedürfnisse sind maßgeblich: Während in urbanen Kontexten aufgrund der stärkeren Bedeutung des Umweltverbunds im Modal-Split eine reduzierte Anzahl an PKW – Stellplätzen möglich ist, erledigen in ländlichen Regionen Kund*innen den Einkauf größtenteils mit dem Auto – mit der Folge begrenzter Gestaltungsspielräume beim Stellplatzbedarf.

Kernpunkte: Welche Erkenntnisse, Handlungsmöglichkeiten und Grenzen ergeben sich aus der Praxis?

  • Innenstädte haben für die Gesamtstadt und das Umland eine Versorgungsfunktion. Die Erreichbarkeit muss für die verschiedenen Nutzergruppen sichergestellt sein. Eine stärkere Bedeutung der Mobilitätswende wird vor Ort in dem Maße erreichbar sein, wie sich das Mobilitätsverhalten der Kundschaft und der Besucherinnen und Besucher im Nahbereich, aber auch im weiteren Einzugsbereich verändert.
  • In der Innenstadt prallen beim Thema „Mobilitätswende“ verschiedene Interessen aufeinander. Häufig unterscheiden sich die Interessen und Erwartungshaltungen der Händler und der Bürgerinnen und Bürger voneinander. Auf Veränderung ausgerichtete Konzepte brauchen eine intensive Interessenabwägung und bei der Erprobung bzw. Einführung gut vorbereitete kommunikative Prozesse.
  • Experimente und temporäre Aktionen bieten die Möglichkeit, langfristige Auswirkungen von lokalen Maßnahmen der Mobilitätswende besser abschätzen zu können und praktikable Lösungen zu finden, die die Stadtgesellschaft mit möglichst breiter Mehrheit akzeptiert und befürwortet.
  • Die Umsetzung der baulichen Umstrukturierung braucht Zeit. Vor Ort müssen individuelle Lösungen der Mobilitätswende gefunden werden, z.B. im Abgleich mit der Lieferlogistik und dem Denkmalschutz. Der Umbau kann auch schrittweise erfolgen, wenn sich neue Nutzungsmuster etabliert haben.
  • Der Schlüssel der Verkehrswende ist die Umsetzung in alltäglichen Routinen. Der Umbau der Straßenräume hat oft eine starke Impulswirkung für private Investitionen. In der Innenstadt wird dies einen gewerblichen Strukturwandel zur Folge haben.
  • Rechtliche Regelungen, wie die Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung oder einer örtlichen Stellplatzsatzung, stellen in der Praxis häufig Hürden für die lokale Mobilitätswende dar, letztgenannte bieten aber auch kommunale Gestaltungsmöglichkeiten.

Die Präsentationen finden Sie hier:

Janna Aljets, Agora Verkehrswende: Weniger Autos – für Klimaschutz, bessere Mobilität und mehr Lebensqualität für alle

Susanne Richter, Fachbereich Bau und Stadtentwicklung der Stadt Parchim: Freiraum und Mobilität in der Innenstadt:

Sven Koritkowski, Fachbereich Stadtentwicklung der Stadt Cottbus: Mobilitätskonzept Altstadt – Stärkung der Lebensqualität

Impulsvortrag von Dennis Krüger, EDEKA-MIHA Immobilien-Service GmbH

Yvonne Stolzmann, Bereichsleiterin Stadtraum Mitte der Landeshauptstadt Potsdam: Straßenräume neu denken

Oliver Bley, Stadtbaurat der Stadt Gifhorn: Mit dem Rad in die Innenstadt – das Leitbild Mobilität 2030

Impulsvortrag von Anja Hänel, Landesgeschäftsführerin VCD Brandenburg